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Ich habe für dich eine Tür geöffnet - Predigt am Zweiten Advent 2007, Vicelinkirche, von Pastorin Susanne Bostelmann

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der war und der da ist und der da kommt.

In der Adventszeit, kurz vor weihnachten. Endlich habe ich es geschafft, die Päckchen für die Patenkinder zu packen. Jetzt bringe ich sie zur Post, na ja, fünf vor sechs, aber eben fünf vor. Als ich mein Fahrrad abschließe, sehe ich, wie ein Postangestellter die Tür verschließt. Ich schaue auf die Uhr: 3 Minuten vor sechs. Ich laufe hin, rufe noch, halt, es ist doch noch nicht sechs…
Aber er schaut durch mich durch. Die Tür bleibt verschlossen. Ich muss alle Pakete wieder mit nach Hause nehmen und es morgen noch einmal versuchen.
Ich bin nicht nur verärgert, sondern richtig geknickt. Ich glaube, ich nehme es auch ein bisschen persönlich: ich bin hier nicht willkommen.

Eine andere Szene: S Bahnhof Poppenbüttel.
Ich bin ein bisschen spät dran und muss am Geldautomaten noch die Fahrkarte ziehen. Kleingeld habe ich mir zurechtgelegt, schnell reingeworfen in den Münzschlitz, die Fahrkarte wird gedruckt. Ich nehme sie, laufe die Treppe hinunter, da höre ich schon das Piepen der Türen. Direkt vor meiner Nase gehen sie zu. Ich stehe da, vor den Kopf gestoßen ist das richtige Wort, etwas erstarrt, denke auch: selbst schuld, wie immer war es sehr knapp, diesmal zu knapp.
Aber die Bahn fährt nicht los. Ich schaue verwirrt und sehe, es leuchten die Türöffnungslämpchen noch einmal. Ich drücke den Türknopf, die Tür geht wieder auf. Ich steige ein und bin ganz gerührt: ich darf noch mit, jemand hat mich gesehen, extra für mich noch einmal angehalten.

Geschlossene Türen, offene Türen: Die lösen viel aus. In der Adventszeit öffnen die Kinder die Türen im Adventskalender, und dahinter ist etwas Süßes und– hoffentlich! – etwas Geheimnisvolles. Manches davon ist auch enttäuschend, da hatte ich mehr erhofft.
Türen im Adventskalender - Ein schönes Symbol für die Zeit im Advent, in der wir täglich einen Schritt weiter auf Weihnachten zugehen. Im Advent öffnen sich Türen, und dahinter ist ein Geheimnis. Gottes Geheimnis.

Heute öffnet sich aber auch mit dem Predigttext eine Tür, hinter die wir nur selten schauen. Wir hören Gottes Wort, übermittelt vom Propheten Johannes, der sie in der Offenbarung aufgeschrieben hat. Johannes hat an sieben christliche Gemeinden in Kleinasien geschrieben. Sie haben eine schwere Zeit: sie erleiden brutale Verfolgungen durch das römische Reich auf der einen Seite, und sie merken langsam, dass sie sich unterscheiden von der Religion, aus der heraus sie wachsen, dem Judentum. Das Judentum hat sie aus ihrer Gemeinschaft verstoßen, und nun sind sie sogar ohne den Schutz, den diese Glaubensgemeinschaft ihnen geboten hatte. Unter diesem Druck von beiden Seiten haben viele ihrem Glauben wieder abgeschworen, um ihre Haut zu retten. Die Menschen in den Gemeinden sind erst dabei, eine Identität als Glaubende, als Christ/innen zu finden. Johannes will sie darin unterstützen und ihnen in der Bedrohung Mut machen. So schreibt er an die Gemeinde in Philadelphia, was er hörte:
7 Dem Boten der Gemeinde in Philadelphia sollst du folgendes schreiben: Dies sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der Davids Schlüssel hat, der öffnet und niemand wird schließen und der zuschließt und niemand wird öffnen. 8 Ich weiß, wie du gehandelt hast. Daher habe ich für dich eine Tür geöffnet, die niemand mehr schließen kann. Denn du hast begrenzte Kraft, hast mein Wort bewahrt und meinen Namen nicht verleugnet. …
10 Du hast dich an mein Wort, durchzuhalten, gehalten, und auch ich werde dich nicht fallenlassen, wenn die Stunde der Treueprobe kommt, die allen Erdbewohnern bevorsteht.
11 Ich komme bald. Halte fest an dem, was du hast, damit niemand dich um den Preis für deine Mühen bringt. 12 Die sich nicht unterkriegen lassen, werde ich zu Säulen in Gottes Tempel machen, die werden unter allen Umständen bleiben. Ich werde auf sie Gottes Namen schreiben und den Namen der Stadt Gottes, des neuen Jerusalem, das vom Himmel her kommt, und auch meinen eigenen neuen Namen. Wer ein Ohr hat, höre, was die Kraft des Heiligen Geistes den Gemeinden sagt.

Ein schwerer Text. Es kommt mir vor, als stünde ich wie lauschend an der Tür und würde kaum verstehen, worum es geht. Es sind ganz andere Gegebenheiten, die unsere Glaubensgeschwister damals zu bestehen hatten. Für die Gemeinde in Philadelphia gab es durch die Verfolgungen eine „Treueprobe“, und sie haben sie soweit bestanden. Dadurch hat sich eine Tür für sie geöffnet, eine Tür zum Gottesraum. Was das ist? Er hat viele Namen und Gestalten, Himmel ist eine, Ewigkeit, Glück, Heil, Gottes Reich.
Und was hat das mit uns zu tun?
Wir leiden nicht unter Verfolgung wie noch unsere Brüder und Schwestern zu DDR-Zeiten oder wie die Christ/innen in China und anderorts.
Eher, habe ich manchmal den Eindruck, wird es uns zu leicht gemacht. Unser Glauben ist eine Möglichkeit von vielen, die meisten werden hineingeboren, wer außer den Studierten und den ganz Entschiedenen kann eigentlich noch formulieren, was die Botschaft unseres Glaubens ist, warum wir Christ/innen sind. Es verkommt manchmal zu etwas Beliebigem. Ich denke dabei zum Beispiel an Weihnachten:

Ich habe diese Woche im Rahmen der Präsentation der Kirchengemeinden einige Male im AEZ gestanden und hatte dort Zeit, die Menschen zu beobachten. Viele wirken sehr angestrengt, gestresst oder erschöpft, was auch kein Wunder ist bei der Wärme, Fülle und den vielen Lichtern.
Aber dass wir jetzt einkaufen gehen, um Geschenke zu finden, um Menschen eine Freude zu machen, das spiegelt sich, finde ich, zu wenig in den Gesichtern wieder. Weihnachten heißt: Gottes Sohn ist geboren, für dich, für mich, genau hier. Und Advent: Ich bereite mich darauf vor, öffne erwartungsvoll meine Sinne, hoffe, dass sich die Tür öffnet.
Von dieser guten Nachricht, die doch Energien geben müsste, ist kaum etwas zu spüren. Außer vielleicht bei den Kindern, die ausreichend Zeit und Muße haben, sich zu freuen.
Unser Glauben wird nicht verfolgt, aber er wird verwässert. Weihnachten verkommt zum Fest des Kaufens oder Schenkens, ist nicht mehr Fest von Gottes Geburt. Da ist es auch nicht leicht, treu zu bleiben und den Sinn der Adventszeit im Auge zu behalten und nicht der Weihnachtshektik anheimzufallen.

Ein anderer fremder Glaube ist eingezogen in unsere Gesellschaft, nämlich: Umsonst gibt es nichts. Umsonst wird nichts mehr erwartet, das wurde mir deutlich, als ich im AEZ Engel verteilt habe mit einem guten Wunsch für die Adventszeit. Manche Menschen sind mir ausgewichen, weil sie Angst hatten, in ein Verkaufsgespräch hineingezogen zu werden, in dem ihnen etwas aufgezwungen wird. Aber die Engel gab es umsonst. Mit dem Wunsch für eine gesegnete Adventszeit und sonst nichts. Irritiert waren manche und viele dann erfreut. Fragten, was das kostet. Letztendlich haben die meisten die Engel doch mitgenommen, waren erleichtert, dass sie nichts dafür tun mussten, nichts bezahlen und nicht reden, wenn sie nicht wollten.
Ich habe den Eindruck, die meisten Beziehungen im Leben Kaufbeziehungen sind: Ich darf mich nicht unter Wert verkaufen, muss Feiern auch mal was kosten lassen, und meine Kleidung und die Geschenke dürfen auch nicht zu billig aussehen.
Ich möchte es wagen zu sagen, dass wir hier auch unsere Treue zu Gott auf die Probe gestellt ist. Vielleicht heißt Treue dann, nicht in allem mitzumachen, sich nicht dem Bewertungszwang unterwerfen und nur zu kaufen, was ich will. Das ist nicht leicht, aber jetzt höre ich die Worte des Propheten Johannes neu: Du hast begrenzte Kraft, hast mein Wort bewahrt und meinen Namen nicht verleugnet. … 10 Du hast dich an mein Wort, durchzuhalten, gehalten.
Die Kraft ist begrenzt. Ich schaffe es nicht immer, mich dem Weihnachtswahn zu entziehen, und manchmal fühle ich mich klein, weil ich bewertet werde von anderen und für zu wenig befunden bin.
Was heißt es dann, sich an Gottes Wort zu halten, wie die Gemeinde in Philadelphia es getan hat? Wenn ich mich so abgewertet fühle, kann ich mir immer wieder nur sagen: meinen Wert bestimmen, das können andere Menschen gar nicht. Denn meinen Wert habe ich schon längst. Denn ich habe Gottes Namen auf der Stirn geschrieben stehen, das heißt, ich bin doch längst Gottes Kind, seit der Taufe und von ewig her. Und ich bin getauft im Namen von Jesus Christus, der mich für so wertvoll erachtet, dass er mich einst mitnehmen wird über die Schwelle durch die Tür des ewigen Lebens. Meinen Wert, den kann ich mir nicht erkaufen und das muss ich auch nicht, das habe ich nämlich schon längst geschenkt bekommen: ich bin unendlich wertvoll vor Gott.
Wenn ich das in meinem Herzen bewahre wie Maria die gute Nachricht von der bevorstehenden Geburt des Retters, dann sehe ich plötzlich die Tür, die sich öffnet.
Dann schaue ich durch einen Spalt über die Schwelle und erhasche ein Licht von dem, was dahinter liegt, dem Gottesraum, dem Glück, dem Heil, Gottes Reich hier auf Erden und ein Zipfel vom Himmel.
Denn da geht es um Begegnung von Menschen ohne dass berechnet wird. Auch das habe ich im AEZ erlebt. Bei einigen Menschen hat der Engel Türen geöffnet, ab und an hörte ich: Ja, einen Engel, den braucht man auch.
Ja. Weil eben nicht alles käuflich ist: weil es Leid gibt hier, da kommt kein Geld dagegen an, das kann nur gemeinsam ausgehalten werden. Einsamkeit gehört dazu und seelische Leere. Auch manche Krankheiten und ein viel zu hoher Erwartungsdruck auf sich selbst und andere.
Aber es ist erstaunlich: Gerade wenn Menschen an die Grenzen des Machbaren kommen, wenn nichts mehr menschenmöglich ist, dann öffnet sie sich plötzlich, die Tür zum Gottesraum, zum Heil; denn wird erkennbar, dass ich Engel brauche hier zum Leben oder Gnade kann ich sie auch nennen oder Gott.
Ich habe für dich eine Tür geöffnet, die niemand mehr schließen kann,…, und ich werde dich nicht fallenlassen.
Die Tür ist längst offen, und sie wird nie mehr zugehen. Ich muss mir nicht die Nase platt stoßen an der geschlossenen Tür. Ich darf hinein, gehöre dazu und bin gemeint. Das ist die gute Nachricht für den heutigen Adventssonntag und für allezeit.

Amen

Susanne Bostelmann

 
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