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Liebet Eure Feinde - Predigt von Pastor Th. Jeutner zum 5. Weltladen-Jubiläum am 24.10.2010 (Vicelinkirche)

Predigttext aus dem EVANGELIUM:
Matthäus 5, 38-48 (aus der Bergpredigt)

38 Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn.
39 Ich aber sage euch:
Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.
40 Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel.

41 Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm.

42 Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab.
43Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist:
Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.

44 Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen,
45 damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
46 Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner?
47 Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden?
48 Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist.



Gnade sei mit Euch und Frieden, den Gott schenkt.

Liebe Schwestern und Brüder,

Der alte Text von der Feindesliebe
ist nun für diesen Sonntag vorgesehen –
an dem wir die kleine Festwoche für unser Weltladen-Projekt abschließen.

Wir merkten in diesen Tagen,
als der Laden wie gewohnt geöffnet war,
wie viele Freunde unser Café, unser Laden und unser Team hat.
Wir merkten, wie auf diese Weise
auch der Freundeskreis für den Gedanken des Fairen Handels wächst.

Wir sind dankbar für alle Sympathie,
die uns in diesen fünf Jahren seit der Eröffnung entgegen gebracht wird:
Das ist das Wohlwollen aus dem Stadtteil und seinen Gremien.
Das Wohlwollen von unseren Kunden.

Auch die Offenheit unserer Gemeinde selbst,
in der vor fünf Jahren noch manche skeptische Stimme zu hören war,
ob nicht dieses Projekt etwas an dem Gewohnten verändern würde –
und manches verdrängt,
was der Gemeinde lieb gewesen ist.

Heute stellt es sich so dar,
dass die Verdrängung der alten grün-braunen Sitzpolstermöbel
vielleicht das einzige gewesen ist,
was wirklich verloren ging.
Gewonnen haben wir einen
von sehr vielen Gruppen genutzten schönen Raum,
mit seinem Wintergarten.

Gewonnen haben wir,
dass vielen Menschen das Herz weit wurde für die Idee,
durch die Unterstützung des Ladens
einen Beitrag zu leisten für mehr Gerechtigkeit in der Welt.

Gewonnen haben wir ein großes Team von Ehrenamtlichen,
die sich in unser Projekt mit Treue einbringen.
Verbindungen entstanden unter den Teammitgliedern.
Gleichgesinnte haben sich gefunden.
Unser Kirchenboten-Interview in der aktuellen Ausgabe berichtet davon.

* * *
„Wir fanden Freunde“, das könnte eine Überschrift sein für diese Festwoche.
Und doch lenkt der Predigttext unsere Gedanken darauf hin,
dass es Feinde gibt.

„Liebet Eure Feinde“, hieß es im Evangelium,
„betet für die, die euch verfolgen“.

Ich finde den biblischen Fingerzeig an diesem Tag wichtig,
weil er unsere Wachheit schärft.
Neben allem fröhlichen Stolz,
dass wir nun schon seit fünf Jahren so ein tolles Projekt auf die Beine stellen,
gilt es nicht zu vergessen, dass sein Ursprung einer Feindschaft entspringt.
Es ist die immerwährende Feindschaft,
dass Großkonzerne kleine Produzentenbetriebe auslöschen.
Alle wissen, dass neben Öl das weltweit wichtigste Produkt,
mit dem man Geld verdienen kann,
der Kaffee ist.

Wer bei uns im Laden fair gehandelten Kaffee kauft,
wer sich mit Freunden an einem unserer Tische niedersetzt
und zum selbstgemachten Kuchen
unseren fair gehandelten Kaffee oder Tee trinkt,
ist plötzlich auch ein Mitspieler
im Spiel der Nahrungsmittel-Multikonzerne gegen die kleinen Anbaubetriebe.
Und das Spiel ist ein feindliches Spiel.
Unbarmherzig wird es geführt,
auf Opfer wird keine Rücksicht genommen,
und die Spielregeln diktieren die Großen.

Jesus nennt den Feind einen Feind.
Er sagt nicht, „nennt den Feind einen Freund“.
Die Wahrnehmung von Unrecht soll nicht getrübt werden.
All unsere schönen Produkte,
die Schals und Taschen,
die leckeren Schokoladen und prima Gewürze in unseren Regalen –
entstammen den ärmsten Regionen unserer Welt.
Sie ist nicht heil.
Die Seelen der Menschen,
die in Übersee, in Kolumbien und Tanzania,
in Indien und den Philippinen
an unseren Produkten arbeiten,
die Seelen der Menschen mussten viel Kränkung ertragen.

Die Lebensumstände dort sind den Menschen feind.
Misswirtschaft, Korruption und Armut sind den Menschen feind,
Und auch Menschen sind den Menschen feind.

* * *

Üblicherweise gibt es nur zwei Wege,
der Feindschaft zu begegnen:

1. mit Kampf und Hass.
2. mit Feigheit und Flucht.

Fight or flight – Kampf oder Flucht –
So reagieren wir Menschen seit Millionen von Jahren,
wir tun es, seit wir Urmenschen waren,
und das Prinzip steckt in uns
bis zu diesem Tag.

Es ist das Prinzip: Auge um Auge,
Zahn um Zahn.

Der Kreislauf der Feindschaft ist Vergeltung,
in dem Unrecht auf Unrecht gehäuft wird.
Ein Verdacht setzt einen Gegenverdacht in Gang.
Ein böses Gerücht wird beantwortet mit einem noch böseren Gerücht.

Wo etwas nicht klappt, muss ein Schuldiger her,
wo es keinen Feind gibt,
wird einer dazu gemacht.
So funktioniert es nicht nur in Bürgerkriegsländern,
sondern auch bei uns
im feinen Hamburg.

Jesus hat unsere menschlichen Verhaltensmuster gut gekannt.
Er sagt jedoch nicht:
Hasse deinen Feind. Verleumde ihn, verletze ihn.
Er sagt auch nicht: sein ängstlich vor deinem Feind,
flüchte dich in einen ruhigen Winkel, und hoffe, dass du nicht
all zuviel abkriegst von der feindlichen Bosheit.

Jesus redet von einem dritten Weg, wenn er spricht:
„Liebt eure Feinde. Betet für die, die euch verfolgen“.
* * *
Wer seinen Widersacher nicht vernichten will,
und sich auch nicht vor ihm versteckt,
braucht großen Mut.
Denn er weicht dem Konflikt nicht aus.
Er blickt dem Kontrahenten ins Angesicht.
Der Streit bleibt ein Streit,
denn es geht um die Wahrheit,
um die Gerechtigkeit,
und um die Würde.

* * *
So ist jeder unserer Weltläden in Hamburg
der Versuch,
vor den Verdrängungspraktiken der großen Lebensmittelkonzerne nicht zu fliehen.
Sondern den Preisdiktatoren
den friedlichen Widerstand des Fairen Handels entgegen zu setzen.

Ein Weltladen ist nicht nur ein kleines Scherflein zur Notlinderung.
Nicht nur eine mildtätige Einrichtung
zur Beruhigung unsere Gewissen.
Ein Projekt wie unseres
ist neben seiner Funktion als Saseler Treffpunkt
auch Ort einer Auseinandersetzung
global verfeindeter Prinzipien.
Es ist ein Schauplatz für die Feindesliebe,
von der Jesus gesprochen hat.

Wer die benachteiligten Kooperativen
durch den Kauf fair gehandelter Produkte unterstützt,
verhilft gedemütigten Menschen
zu einem Blick auf Augenhöhe.

Das ist nichts anderes als Widerstand!
liebe Schwestern und Brüder!

Jesus redete nicht einem Ertragen von Unrecht das Wort.
Aber er bahnte einen Weg
für den Widerstand der Liebe.
Das ist eine Liebe,
die mich selbst vor der Feigheit bewahrt,
und auch dem Gegenüber
seine Menschenwürde zurechnet.

* * *

Die Schauplätze des Fairen Handels liegen so weit weg.
Wir sind zwar mit unserem Laden
Endpunkt einer langen Kette,
an deren Ursprung tagtäglich Überlebenskonflikte stattfinden.
Aber – wir denken eigentlich nicht oft darüber nach.

Der Bibeltext heute erinnert uns mit Recht
auch an diese Dimension unseres Tuns.

Fällt es uns denn leichter,
im privaten, beruflichen oder ehrenamtlichen Umfeld
die friedliche Konfliktbewältigung zu meistern?

Wie ist es in unserer Stadt um den Frieden bestellt?
Am S-Bahnhof Jungfernstieg,
in der Unterführung habe ich neulich ein Graffitty gesehen,
darauf stand in großen Buchstaben:
„Die Bibel ist ein Märchen“.
Irgendein anderer hat mit anderer Farbe ein „K“ darüber gesprayt,
So hieß der Satz:
„Die Bibel ist kein Märchen“

Auf diesem S-Bahnhof wurde im Mai
ein junger Mann erstochen.
Kaum eine andere Gewalttat hat in unserer Stadt
in diesem Jahr soviel Diskussion ausgelöst.
Gegen die Gang, aus der die Täter kamen,
wurde am Freitag der Prozess eröffnet.

Was bedeutet es für die Angehörigen des Opfers,
im Gerichtssaal dem feindlichen Gewalttäter gegenüber zu treten?
„Die Bibel ist kein Märchen?“

Ich glaube daran,
dass Jesus keine Märchen erzählte.
Seine Einladung zur Feindesliebe
ist ernst gemeint:
unsere Konfliktgegenüber weder zu vernichten
noch ihnen aus Angst auszuweichen.
Sondern – die Auseinandersetzung zu suchen,
um das, was wirklich geschehen ist.

Schuld muss beim Namen genannt werden können.
Unrecht muss seinen Preis haben –
den der Bitte um Verzeihung,
der Buße in Wort und Tat,
den Preis der versuchten Wiedergutmachung,
der möglichen Versöhnung.

Manchmal geschieht es nie.
Manchmal braucht es Jahrzehnte.
Manchmal braucht es nur ein Wort,
das einen Konflikt, der von allen vermieden wird,
zur Sprache bringt.

Und manchmal braucht es ein Gebet.
Um zu unserem Bemühen um Mut und Kraft
auch die Gotteskraft mit hinzu zu nehmen.

Denn Jesus sagt:

„Liebt eure Feinde.
Und betet für die, die euch verfolgen“.

Der Satz vom Beten
ist ein Schlüssel für den Satz von der Feindesliebe.

Wer zu beten versucht,
tritt seinem Widersacher anders gegenüber.
Im Besinnen auf Gottes Nähe
kann ich Kraft bekommen,
meinem Feind die richtigen, auch unangenehmen Fragen zu stellen.

Ich kann Kraft finden,
den Mund aufzumachen für die Stummen.

Deshalb ist es gut,
dass zu unserer Festwoche –
zu den fröhlichen Verkaufstragen bei Sekt und Saft,
dass zu dem gelungenen Mittwochabend mit Musikanten aus drei Erdteilen –
auch dieser Gottesdienst gehört.

„Liebt eure Feinde.
Betet für die, die euch verfolgen“.

Amen.

 
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