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„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“. Der Stolperstein im Saseler Waldweg 52, für den Homosexuellen Rudolf Nürnberg.

Stolperstein für Rudolf Nürnberg am Waldweg 52

Text aus dem Alsteranzeiger, am 27. Januar 2011

(bs) Die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig sind in Stadtvierteln wie dem Grindel, aber auch in Eppendorf oder Winterhude allgegenwärtig. Im Alstertal erinnern nur wenige kleine Bronzeplatten auf Gehwegen an Menschen, die Opfer der Gewaltherrschaft wurden.
Der Stein am Waldweg 52 erinnert an einen Menschen, dem nicht seine religiöse oder politische Zugehörigkeit, sondern seine Sexualität das Leben kostete.

„Der Stein erinnert an jene zu Unrecht vergessenen und verschwiegenen Opfer der Gewaltherrschaft, an Homosexuelle, die den Tod fanden“, erklärt der Saseler Pastor Thomas Jeutner, der im Rahmen des Volkstrauertages an das Schicksal Rudolf Nürnbergs erinnerte.

Im Herbst 2009 wurde unbemerkt, ohne Anteilnahme der Bevölkerung, ein Stein verlegt. Auf dem Stein steht schlicht: Hier wohnte Rudolf Nürnberg, Jg. 1875, verhaftet 1939, Fuhlsbüttel, Flucht in den Tod 18. 4. 1939. Mehr nicht. Es ist nicht viel bekannt über ihn, doch irgendjemand muss sich an ihn erinnert haben. Vielleicht jemand, der sogar noch am Leben ist und von ihm erzählen könnte?

Über Otto Eduard Rudolf Nürnberg ist nur bekannt, dass er als Sohn des Landvermessers
Wilhelm Nürnberg und Emma, geborene Eberhardt, auf die Welt kam. 1904 heiratete er Frieda Kuchel. Sie gebar ihm einen Sohn, Johann. Rudolf arbeitete als Bautechniker. Er wohnte in Sasel, seine Gattin war in der Steilshooper Straße 147 gemeldet.

Anfang März des Jahres 1939 wurde er durch die Polizei verhaftet. Nach einer Woche Inhaftierung im KZ-Fuhlsbüttel wurde er in das Untersuchungsgefängnis Hamburg-Stadt, Holstenglacis, überstellt wegen eines Vergehens nach Paragraph 175. Am 18. April wählte Rudolf Nürnberg den Freitod durch Erhängen. Rudolf Nürnberg flüchtete vor einer Bestrafung, für ein Vergehen, das keines war und ist. Er liebte auch Männer. Doch das
stellte der § 175 RStGB seit 1871 unter Strafe. Galt bis 1935 die Fassung der „widernatürlichen Unzucht“, was die Gerichte mit „beischlafähnlichen Handlungen“
übersetzten, wurde der Paragraph im Juni 1935 verschärft.

Aus „widernatürlicher Unzucht“ wurde schlicht „Unzucht“, worunter alle irgendwie „unanständigen“ Handlungen zwischen Männern fielen. Nun reichten schon ein begehrlicher
Blick, eine liebevolle Umarmung, das bloße Nebeneinanderliegen, um für bis zu zehn Jahre im Zuchthaus zu enden. Die Inhaftierungen, häufig wurden die Männer aus ihrem direkten Umfeld, von Arbeitskollegen, verschmähten Liebhabern, Verwandten oder Nachbarn, denunziert, basierten auf der vagen Vermutung einer sexuellen Erregung.

„Der Stolperstein am Waldweg hat eine wichtige Aufgabe, denn wer vergegenwärtigt sich heute noch, dass zu den Verfolgten der Gewaltherrschaft auch rund 100.000 Homosexuelle gehörten, die in einer extra eingerichteten SS-Reichszentrale erfasst wurden“, erklärt Pastor Thomas Jeutner. 50.000 von ihnen wurden verurteilt. Gerieten Homosexuelle, von Heinrich Himmler als „bevölkerungspolitische Blindgänger“ und Volksschädlinge“ diffamiert, in das Räderwerk der Justiz, wurden sie nicht selten geschlagen, gequält, bedroht, erpresst und psychisch unter Druck gesetzt, damit sie möglichst viele „Mittäter“ verrieten. Willkürlich wurden die Haftstrafen verlängert, indem die Untersuchungshaft nicht angerechnet wurde.
„15.000 Homosexuelle wurden von der Gestapo in KZs verschleppt. Sie mussten den Rosa Winkel als Zeichen tragen. Man schätzt, dass 7.500 Männer wegen der § 175 / § 175a in den
Konzentrationslagern umkamen“, berichtet Jeutner.

Da die Homosexualität für die Nazi-Schergen eine „Seuche“ war, die es „auszurotten“ galt, wendeten sie das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ auf die Verurteilten an. Man legte den Männern die Kastration nahe. Die Zustimmung zur „freiwilligen Entmannung“, war auch dann rechtskonform, wenn sie unter Folter und Drohungen erfolgte. So sagte Staatsanwalt Nicolaus Siemssen am 19. März 1942: „Die Entmannung rein homosexuell veranlagter Männer liegt unzweifelhaft im Interesse der Volksgemeinschaft.“ Mit der Kastration erhofften sich die Männer, der Schwulen-Hatz zu entgehen. Wie sie unter dem Eingriff und den Folgen litten, interessierte niemanden.

Nach dem Krieg veränderte sich die Situation homosexueller Männer nicht. Sie lebten weiter mit der Angst vor Entdeckung und Verhaftung, denn der § 175 galt weiter, und die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, eben noch aufgrund ihrer Nähe zum Nationalsozialismus entlassen, wurden mit dem Artikel 131 zurück auf ihre alten Positionen gehievt. Ermittlungen, Anklagen, Rechtssprechung aus „bewährter“ Hand. Die Zahl der Verurteilungen nach § 175 / § 175a blieb konstant, die Urteile hart. Erst 1969 wurden einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen zwischen Erwachsenen straffrei.

„Wir müssen immer wachsam sein - nachfragen, wenn Fremde, Unbequeme, Andersdenkende
verunglimpft werden. Und wir sollen niemals vergessen, damit sich Unrecht nicht wiederholen kann“, so ein nachdenklicher Pastor.

Wer Kenntnisse über Rudolf Nürnberg, 1939 wohnhaft im Waldweg 52 hat, wird gebeten davon zu erzählen, um etwas Licht in die Lebensgeschichte dieses Mannes zu bringen. Pastor
Thomas Jeutner ist unter 040-600 119 11 oder über www.kirche-sasel.de erreichbar.
Wer mehr über das Thema wissen möchte, dem sei das Buch „Homosexuellen Verfolgung in
Hamburg, 1919 - 1969“ von Rosenkranz, Bollmann und Lorenz empfohlen. Erhältlich in
der Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg.

B. Springer, Redakteurin des „Alsteranzeiger“

 
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