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Es waren unsere Nachbarn. Wien, Hamburg, Sasel, Auschwitz - das Leben der jüdischen Famile Hofmann. Ansprache zum Stolpersteingedenken am 20.1.2007; Thomas Jeutner

Ilonka, Anni, Arnold und Charlotte Hofmann (v.l.), im September 1939 in Sasel

Ansprache zum Stolpersteingedenken im Saselhaus,
für Familie Hofmann; am 20.1.07



Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Gäste – aus Sasel, vom Ortsausschuss,
liebe nahe und ferne Besucher – von Bargteheide bis Kanada.

Und ganz bewusst sage ich zu Beginn:
Liebe Nachbarn aus Sasel.

Nachbarschaftsgeist war es, helfendes Miteinander,
das die Siedler vom Jahr 1919 an hier in Sasel zusammen wohnen und leben ließ – mit ihren Familien, mit ihren Tieren, in ihren Gärten, von denen sie lebten.

Hunderte Familien sind heraus gezogen aus der Hamburger Innenstadt,
nahmen hier das von Julius Gilcher und seinen Freunden im Siedlerverein
parzellierte Land in Besitz, das sie sich mühsam erspart hatten.

Unter den vielen, die damals einen Neuanfang machten in Sasel,
war auch die jüdische Familie Hofmann.

Sie waren über 20 Jahre lang – bis zu ihrer Deportation 1942 – unsere Nachbarn.
Sie hatten Freunde und Bekannte. Und doch haben wir nur wenig über ihr Leben erfahren können. Das wenige, das wir wissen, wollen wir hier weiter geben.

* * *

Lina-Charlotte und Arnold Hofmann (vgl. Foto mit Schubkarre, 1932) haben in der Hohen Reihe Nr. 25 ihr Bau- und Gartenland erworben.

Wir vermuten, dass es am Ende der 20er Jahren gewesen ist.
Zu der Zeit müssen die beiden – Jahrgang 1874 (Charlotte) und 1875 (Arnold, geb. am 9. November!) - etwa um die 50 Jahre alt gewesen sein.

Uns ist berichtet worden, dass sie wie alle anderen Siedler auch mit einer Holzhütte im Garten als Unterkunft angefangen hatten – und dann ihr Haus bauten.

Das Haus war sehr einfach gehalten, ohne Keller, mit nur einem Stockwerk,
und einem flachen Dach. Erst viel später, in den 60er Jahren, hat es durch weitere Umbauten sein heutiges Aussehen erhalten.
Wasser gab es nur im Garten, von der Pumpe. 1936 erst wurde in der Hohen Reihe eine Wasserleitung gelegt. Hofmanns hielten Hühner und Kaninchen und anderes Kleinvieh.
Sie bestellten den Garten, pflegten das Haus.

Beruflich war der handwerklich begabte Arnold Hofmann, der von der Ausbildung her Schlosser gewesen ist, als geprüfter Maschinist im Flugzeugbau tätig – und war dort schließlich Vizemeister geworden.

Das Reich von Charlotte Hofmann waren Haus und Garten. Sie baute Kartoffeln und Gemüse an, erntete das Obst. Aus Briefen ist bekannt, dass sie wunderbar kochen konnte.

* * *
Wie Dr. Ulrich Dreyer (Poppenbüttel) in Akten des Hamburger Staatsarchivs finden konnte, hat das Ehepaar Hofmann am 7. Februar 1921 in der Hansestadt Hamburg die Einbürgerung bekommen.
Sie hatten damals die Adresse Norderstraße 36/38,
südlich vom Hauptbahnhof gelegen.

Ursprünglich stammten Hofmanns aus Szakolcza,
in Östereich-Ungarn, heute liegt der Ort in der Slowakei, und heißt Skalica.

Hofmanns hatten dann in Wien gelebt,
der nördlichen Metropole Österreich-Ungarns.

Nach den Aktenangaben haben sie am 11. November 1902 in Wien geheiratet,
und in Wien sind auch zwei ihrer vier Kinder geboren,
zuerst Siegfried, 1903, und Olga, 1904.

Später kamen 1905 noch Anna und schließlich Eduard auf die Welt.
Wir wissen nicht genau, ob damals die Hofmanns schon nach Hamburg
umgezogen waren. Dafür spricht ein uraltes Familienfoto aus dem Jahre 1905,
das in einem Hamburger Fotostudio aufgenommen wurde.

* * *
So gut wie nichts ist bekannt über die vielen Jahre,
die Hofmanns in der Hamburger Altstadt gelebt haben.

Im Staatsarchiv ist Sasel als Wohnort der Eltern Hofmann
unter dem 7. Oktober 1932 vermerkt, der Umzug kann aber schon viel früher erfolgt sein.

* * *

Inzwischen hat sich Deutschland verändert. Eine schlimme Zeit hat ihren Anfang genommen.
Am 30. Januar 1933 wird Adolf Hitler Reichskanzler, schon in den folgenden Monaten kommt es zu antisemitischen Gewalttaten.
Vom 1.-3. April dieses Jahres 1933 kommt es deutschlandweit zum Boykott jüdischer Geschäfte.

Anni, die jüngste Tochter der Hofmanns, war damals 27 Jahre alt.
Wir wissen, dass sie in der Gluckstraße in Barmbek ein Weißwarengeschäft geführt hatte, mit allem, was man zum Nähen im Haushalt braucht, Garne und Zwirne, Nadeln, Scheren, Knöpfe.

Mit welchen Schwierigkeiten sie in diesen Jahren ihr kleines Geschäft geführt hatte, können wir nur ahnen. 1937 wird ihre kleine Tochter Ilonka geboren. (Foto, 1941, 4 Jahre)

Die Meldeadresse von Anni Hofmann und der kleinen Ilonka
ist auch das Haus in Sasel, bei der Großmutter in der Hohen Reihe (vgl. Foto).

Allerdings gibt es ab 1933 für die Hofmanns einen Vermerk,
wie für alle nicht aus Deutschland stammenden Juden im Land:
Ihre deutsche Staatsangehörigkeit wird aberkannt,
ihre Einbürgerung, die Hofmanns gerade erst 1921 erhalten hatten –
wird nun offiziell widerrufen, laut einem Gesetz vom 14. Juli 1933.

Zwei Jahre später, mit den Nürnberger Gesetzen vom September 1935,
werden komplett allen Juden in Deutschland die Bürgerrechte aberkannt.

* * *

Wenige Jahre sind es nur noch, die Hofmanns in Sasel bleiben werden.
Wir haben oft darüber gesprochen, ob sie nicht auswandern wollten,
sich in Sicherheit bringen.

In der Familie ist überliefert,
dass es Gedanken zum Auswandern durchaus gegeben hat.
Manche Freundesfamilien hatten längst das Land verlassen.

Es gab große Sorgen bei den Hofmanns – und doch immer wieder Zuversicht:

Wem haben wir irgendetwas getan?
Haben wir nicht fleißig gearbeitet?
Arnold Hofmann war im Ersten Weltkrieg Soldat gewesen,
ist verletzt worden, wie wir aus Briefen wissen,
geschah seine Verwundung im Jahre 1916, in Bessarabien.

Es gibt nichts Aufgeschriebenes aus jenen Jahren.
Ein paar Fotos sind da,
wie dieses Gruppenbild – vom September 1939, aufgenommen in Sasel.

1939 – war ein Schicksalsjahr.

* * *

Siegfried, der älteste Hofmann-Sohn, war damals 36 Jahre alt.
Er hatte in Hamburg die israelitische Oberschule besucht
und war Telefontechniker geworden, und lebte längst in Berlin.
1933, im März, starb seine Frau an Tuberkulose.

Im Oktober 1933 wurde Siegfried verhaftet,
wegen seiner Mitgliedschaft in der SPD.
Das Urteil wurde erst 1935 gefällt,
und es lautete wegen Hochverrats auf drei Jahren Zuchthaus.
Er kam in das Konzentrationslager Dachau.
Entlassen wurde er im September 1938, und wurde des Landes verwiesen.

* * *

72 Stunden hatte er Zeit, Deutschland zu verlassen.
Er fuhr nach Berlin, wo seine beiden kleinen Söhne bei den Großeltern lebten,
und reiste mit ihnen nach Hamburg.

Dort, in der Gluckstraße, beim Geschäft der Schwester,
sollten die Jungen, 10 und elf Jahre alt,
ihre Tante Anni überraschen.

Es war ein Abschied für immer.
Schließlich fuhr Siegfried nach Sasel,
um seinen Eltern in der Hohen Reihe Lebewohl zu sagen.
Noch in der Nacht nahm der den Zug nach Italien,
und reiste über Trieste mit dem Schiff „Galicia“ nach Palästina.
Es war der 21. September 1938.

Wenige Wochen später,
am 9. November 1938, zetteln die Nationalsozialisten überall in Deutschland die Zerstörung von Synagogen und jüdischen Geschäften an. Die so genannte „Reichskristallnacht“ ist in die Geschichte eingegangen.
Am selben Tag, am 9. November 1938, feierte Arnold Hofmann
in Sasel seinen 63. Geburtstag.

* * *

Im Januar 1939 hatte Hitler prophezeit:
im Falle eines zukünftiges Krieges würde er die jüdische Rasse in ganz Europa vernichten.

Ein paar Monate später
entstand dieses Foto, im September 1939.
Und wir wissen: In jenen Tagen hatte der Zweite Weltkrieg begonnen. Es ist auch der Monat, in dem alle Juden ihre Radiogeräte abliefern mussten.
Hofmanns – hatten ein Radio, es stand versteckt auf dem Küchenschrank.

Im September 1941 wurde erlassen, dass alle deutschen Juden,
vom sechsten Lebensjahr an, den gelben Stern an der Kleidung zu tragen hatten.

Es gibt Erinnerungen an die Saseler Hofmanns,
wie sie sich schämten, so durch den Ort zu gehen.
Wie sie manchmal lieber Kinder aus der Nachbarschaft
zum Milchmann Jennerjahn in die Straße Op de Elg schickten, um einzukaufen.
Und wie sie, wenn sie dennoch das Haus verließen,
den Mantelkragen über den Gelben Stern schlugen,
oder den Riemen der Umhängetasche darüber legten.

1941.
Das Jahr und der Monat Dezember steht hinten auf dem Foto, das Ilonka mit der Puppe zeigt.
Wir sehen ein Kind,
und das eindrückliche Lächeln.

Im Dezember 1941 wurde Auschwitz gebaut.
Schon im Oktober `41 wurde allen Juden die Auswanderung aus Deutschland verboten.
1942 beginnen die letzten Monate für die Hofmanns in Sasel.
Im Januar, auf der Wannseekonferenz, wird die Massenermordung von Juden beschlossen, ab Februar 1942 beginnen die ersten Deportationen.

* * *

Es gibt ein paar wenige Erinnerungen an den Tag,
als die Hofmanns abgeholt wurden, aus der Hohen Reihe.
Es war ein Sommertag, der 11. Juli 1942.
Ein Dreirad-Auto soll es gewesen sein,
das die beiden älteren Leute Charlotte und Arnold Hofmann
mitgenommen hat zur Sammelstelle in die Stadt.
Es war ein Auto von der Marke Tempo, mit einer offenen Pritsche.
Es gab den Abschied, von Freunden und Nachbarn.
Und die Hoffnung – irgendwie – man werde sich doch wieder sehen.

Es heißt, dass viele Menschen in der Hohen Reihe die Abholung gesehen haben.
Einer, so wurde mir erzählt,
sei hinzu gegangen zu Arnold Hofmann, als das Auto vorbei fuhr.
Dieser habe aber nur abgewunken.

Anni und die kleine Ilonka, die in der Innenstadt die Israelitische Mädchenschule besuchte, sind am selben Tag deportiert worden. Der Transport ging nach Auschwitz.
Die Hamburger Gestapo-Dokumente vermerken,
dass insgesamt 299 Juden an diesem 11. Juli 1942 auf den Transport gingen.
292 von ihnen sind nach der Ankunft vergast worden.

* * *
Streiflichter sind dies, Notizen aus Biografien, wie sie es Millionen andere Biografien
von Opfern in schlimmen Diktaturen auch gegeben hat.

Mit einem Unterschied:
Dieses Leben, an das wir stellvertretend heute erinnern,
hat hier bei uns stattgefunden.

Es war ein Saseler Leben. Es waren unsere Nachbarn.
Sie wurden gedemütigt, ausgestoßen und ausgelöscht.
Sie haben kein Grab bekommen.

Damit ihre Namen nicht vergessen werden, erinnern jetzt – 65 Jahre danach!! - vier Gedenk-Steine
an ihre Geschichte, an ihre Tränen, an ihre Hoffnung.
Es sind die Namen von Arnold und Charlotte, Anni und Ilonka.

Lasst uns in einem Moment des Schweigens ihrer gedenken.



* * *

Thomas Jeutner
Saseler Markt 8, 22393 Hamburg;
Tel. 040-600119-11; Fax - 26;
t.jeutner@kirche-sasel.de

 
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